„Die Finanzbranche ist eine Kernbranche des Digitalen Wandels.“ Von dieser These ausgehend erklärte Prof. Dr. Boris Bauke, wie sich dieser Wirtschaftszweig in den vergangenen Jahren gewandelt hat und weiter mächtig in Bewegung ist. Dabei fällt auf, dass viele innovative Finanzdienstleister (FinTechs) nicht aus dem Finanzsektor, sondern aus der Informatik kommen. Gerade mobile Anwendungen und Technologieentwicklungen pushen den Markt. Aktuell steigt das investierte Risikokapital in diesem Bereich und das Wertwachstum von FinTechs gegenüber klassischen Banken und Anlagen ist überproportional.
Auch die Konsumentenseite reagiert. In Deutschland und weltweit sind durchschnittlich 64 % der Bevölkerung mit mindestens zwei digitalen Finanzaktivitäten im Markt aktiv. Dazu zählen Onlinekonten, Internetbanking, internationale Geldtransfers, Kreditfinanzierungen, Planungs- und Budgetingtools, Investmentmanagement, Kredite, Versicherungen, etc.
Vom Nischenangebot zum neuen Spieler
Die großen Markttreiber auf Investmentseite kommen aus China, den USA und dem UK. Der aktuelle FinTech-Trend in Europa läuft auf spezialisierte Nischenangebote, die dem Anspruch nach schneller, besser und/oder günstiger sind. Im Spiegel der etablierten und hochintegrierten Banken, ist dies eine Tendenz zur Desintegration von einzelnen Finanzdienstleistungen. Allerdings muss dies nicht so bleiben. Der typische StartUp-Verlauf ist so, dass sich ein kleines Unternehmen in einer Nische festsetzt und diese möglichst dominiert. Darauf aufbauend wird das Angebotsportfolio erweitert, womit nach dieser Herauslösung von Leistungen, im gelingenden Fall, eine Integrationsphase kommt - dann eben als neuer großer Spieler im Markt.
Schnittstellenstandards ermöglichen neue Produkte und Akteure
Insbesondere der Finanzbereich hat eine sehr große technologische Integrationsfähigkeit durch digitale Schnittstellen. Das was Bankhäuser bisher „all in one“ anbieten, lässt sich so auf einzelne Dienstleister mit spezifischen Angeboten aufteilen und wird dann als neues Angebot im Netz über entsprechende Schnittstellen für den Endkunden wieder zusammengeführt. „Transferwise“ ist beispielsweise ein Tool für Auslandsüberweisungen, das von unterschiedlichsten Akteuren in ihr Online-Angebot integriert wird. Andererseits erkennen auch finanzfremde Unternehmen wie Internet-Händler, dass sich über die Transaktionen erhebliche Erlöse generieren lassen. Entsprechend werden diese Schnittstellen auch von Nicht-Finanzunternehmen gerne besetzt.
Kundenzugang als Schlüsselressource
Banken leben bisher vornehmlich von ihrer Präsens vor Ort oder klassischen Kundenbeziehungen wie Kreditkarten. Dieser Kundenzugang ist nach wie vor eine Schlüsselressource. An dieser Stelle hatten etablierte Institutionen bisher einen Vorteil. Allerdings erschließen sich StartUps diese Zugänge durch Partnerschaften mit den Banken, um mittelfristig, wie z. B. „n26“, dann doch eine eigene Banklizenz zu erwerben.
Vertrauen bindet – Nutzerfreundlichkeit bewegt
Unbenommen dieser Zugangsfrage gilt als kultureller Treiber die zunehmende Akzeptanz elektronischer Bezahlsysteme, wie sie gleichermaßen im stationären und virtuellen Handel eingesetzt werden. Darüber hinaus bewegen sich Menschen vielfach im Netz und begegnen dort einem neuen, vielfältigen und transparenten Markt. Anders als bei klassischen Warengütern gibt es in der Finanzwirtschaft noch deutlich mehr Hemmungen, alle Geldgeschäfte digital abzuwickeln. Die zentrale Komponente in der Kundenakzeptanz ist hier das „Vertrauen“. Der Umgang mit Vertrauen ist kulturell und rechtlich sehr unterschiedlich. Die Bereitschaft einzusteigen ist insgesamt hoch, allerdings ist der Finanzbereich sensibel im Bereich des Datenschutzes. Die Regulation in Europa gilt als anspruchsvoll, schreibt aber lediglich die Transparenz im Umgang mit Daten vor – Unternehmen können und dürfen vieles damit machen, sie müssen es nur entsprechend in ihren AGB kenntlich machen. Tatsächlich stellen die Unternehmen mögliche Datenverwendungen für den Konsumenten lesbar ins Netz, allerdings wird dies von vielen Kunden nicht differenziert zur Kenntnis genommen. Hinzu kommt, dass die Einfachheit und Nutzerfreundlichkeit oft die Akzeptanzschwellen für schwachen Datenschutz sinken lässt.
Finanzwirtschaft im weiteren Sinne
Ergänzend zu diesem Überblick berichtet Matthias Lais vom mainIncubator (eine Tochterfirma der Commerzbank AG) von konkreten Innovationen im Bankensektor. Dazu wird in junge StartUps für neue technologische Lösungen investiert oder entlang einer eigenen Idee ein Prototyp entwickelt. Auch Netzwerke werden aktiv gepflegt. Die Commerzbank bringt dabei nicht nur Geld ein, sondern Reputation und damit Vertrauen. Insgesamt wird FinTech dort sehr breit gedacht. Es geht um Entwicklung, Ersatz aber auch um die Erweiterung des Bankengeschäfts. Beispiele dazu sind:
- Die Sharing Economy reduziert den Bedarf an Krediten. In der Folge gehen die Finanzierungsmargen in die Mietkautionen - nicht in die Kredite von Banken. Sich an diesen Marktmodellen zu beteiligen, diversifiziert die Ertragsmöglichkeiten für die Zukunft.
- Produktbeschreibungen oder Reportings die wesentlich auf Daten basieren, können schon heute sehr gut von Algorithmen geschrieben werden. Das reduziert den Personalaufwand der Banken in der Produktentwicklung oder im Marketing.
- Der Zahlungseingang und das Mahnwesen kann als Prozess automatisiert werden und erweitert das Produktportfolio für Schlüsselkunden. Das stellt Kundenbindung her und sichert die Ertragsbasis.
- Anleihetransaktionen auf Basis von Blockchain funktionieren auch ohne Bank als Trustee. Diese Technologie zu beherrschen und selbst anzubieten kann zu einer Schlüsselkompetenz im Zahlungsverkehr werden.
- Die Erkundung von Hochleistungsrechnern bis hin zur Quantentechnologie erkennt frühzeitig die Potentiale und kann damit die Erfolgsbasis zum Beispiel im anspruchsvollen Investmentbanking sichern.
In diesem weiten Sinne treibt die Digitalisierung die Finanzbranche stetig weiter an. Das Zusammenwirken von Technologie, Wettbewerb und kultureller Öffnung stellt alle Marktteilnehmer in einen offenen Prozess des Wandels. Mut und Wachsamkeit sind gefragt, um als etablierter oder neuer Marktteilnehmer zu bestehen.
Ein Beitrag von Joachim Schmitt.