Samantha Bosch, Percy Scheidler (IG Metall) und Michael Eichelsbacher (Betriebsrat Linde Material Handling)
Das Engagement der Gewerkschaft im Digitalen Wandel
Die IG Metall ist die größte Einzelgewerkschaft des DGB am bayerischen Untermain. Dies umfasst die Branchen Metall- und Elektroindustrie, Textil, Bekleidung, Holz und Kunststoff. Die Gewerkschaft sieht sich als konstruktiver Akteur in der Gestaltung des Digitalen Wandels. Sie vertritt dabei die Interessen der Arbeitnehmer in der Region. Es geht darum Beschäftigung und Wirtschaftlichkeit für die Unternehmen zu erhalten oder Potentiale aufzubauen. Gerade aus der Textilindustrie kennen wir eine Transformation mit Arbeitsplatzabbau in der Region. Die Gewerkschaft gestaltet diese Prozesse mit. Die IG Metall hat seit zwei Jahren wieder einen Zuwachs an Mitgliedern. Die Menschen steigen ein, um Interessenvertretung und Rechtsschutz zu erhalten.
Die IG Metall hat den aktuellen Stand zum Digitalen Wandel in der Industrie erfragt und will damit die Gestaltbarkeit der Transformation sichtbar machen. Neben der Digitalisierung werden auch der Klimawandel, die Demographische Veränderung und die Globalisierung als weitere Treiber des Wandels der Industriegesellschaft betrachtet.
Aus der Region Bayerischer Untermain (Alzenau – Aschaffenburg – Miltenberg – Marktheidenfeld – Lohr) haben sich 18 Betriebe mit 18.689 Mitarbeitern beteiligt. Die Befragung bezog sich auf die strategischen Dimensionen Digitalisierung, De-Carbonisierung, Beschäftigungsentwicklung, Weiterbildung und Mitbestimmung. Befragt wurden fachverantwortliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die vor Ort von den Betriebsräten angesprochen wurden oder Personen, die selbst im Betriebsrat sind.
Die Befragung bezog sich auf den aktuellen Stand oder die Erwartungshaltung für die nächste Zukunft. Die Mehrzahl der Betriebsräte sieht sich allerdings nicht in der Lage, Einschätzung zum Absatz und zur Beschäftigungsentwicklung zu treffen, über einen Zeitraum von 2 Jahren hinaus gehen.
Ausgewählte Ergebnisse aus dem Transformationsatlas
Der zentrale Befund ist: Mehr als die Hälfte der Betriebe hat keine erkennbare Digitalisierungsstrategie. Die Bandbreite der Umsetzung streckt sich vom Weiterbetrieb klassischer industrieller Insellösungen bis zu bereits etablierter 4.0-Integration.
Die Einschätzungen zur Beschäftigungsentwicklung halten sich die Waage von gleichbleibend, abnehmend oder zunehmend. Allerdings planen gerade große Arbeitgeber mit einem Stellenabbau. In den Betrieben wird im Zuge der Digitalen Transformation auch Outsourcing von Leistungen oder Produktionsverlagerung diskutiert.
Weiterhin rechnen ¾ der Betriebe mit einem zunehmenden Qualifizierungsbedarf im Zuge der Digitalen Transformation. Dem gegen über steht, dass bisher keine Entwicklung bei darauf bezogenen Qualifizierungsangeboten wahrgenommen wird. Zudem werden die Qualifizierungsangebote gerade für Geringqualifizierte als schwach entwickelt wahrgenommen.
Schlussfolgerungen aus Sicht der Gewerkschaften
Die IG Metall beteiligt sich aktiv in dieser Diskussion. Zum Teil über ein Mandat in den Aufsichtsräten. Zum Teil auf betrieblicher Ebene im Zuge der Mitarbeiterbeteiligung. Ziel ist der Erhalt und Aufbau von wirtschaftlichen und zukunftsfähigen Arbeitsplätzen. Nach Ansicht der Gewerkschaft ist die wesentliche Grundlage dafür, dass Investitionen und Innovationen in den bestehenden Betrieben angesiedelt werden. In diesem Sinne ist Digitalisierung eine Chance für die ansässigen Unternehmen und deren Mitarbeiter. Damit sollen innovative Produkte und qualifizierte Arbeitsplätze in den Betrieben vor Ort aufgebaut werden. Die Betriebe selbst scheinen sehr unterschiedlich darauf vorbereitet zu sein.
Qualifizierung und Weiterbildung ist aus Belegschaftssicht die zentrale Herausforderung für die Betriebe. Dabei findet Qualifizierung zum Teil vor Ort „on the job“ und aufgrund der Einführung von neuen Technologien anlassbezogen statt. Als Chance wird erkannt, dass Lernen noch nie so einfach war wie heute - das mobile Internet ist eine Wissensquelle in der Hosentasche. Dennoch braucht es einen systematischen und qualifizierten Kompetenzaufbau für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und damit für die Unternehmen insgesamt. Schwierigkeiten bereiten dabei nicht nur die Bereitschaft der Arbeitgeber für die entsprechenden Bildungsinvestitionen. Auch die Bereitschaft der Mitarbeiter für Weiterbildung muss immer wieder aufgebaut werden.
Die Metall- und Elektroindustrie hat dazu Tarifverträge etabliert. Qualifizierung ist einforderbar, soweit es bezogen auf die aktuellen Beschäftigten einen betrieblichen Anlass dafür gibt. Dieser Zugang kann im Zuge strategischer Weiterentwicklung aktiviert werden – für den Digitalen Wandel setzt dies eine Digitalisierungsstrategie voraus. Für diesen Fall trägt der Arbeitgeber die Qualifizierungskosten und der Arbeitnehmer bringt 50 % der Lernzeit ein. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit zur persönlich motivierten Weiterbildung mit Wiedereinstellungsanspruch.
Betriebliche Transformation als Kommunikationsprozess
Die erste zentrale Frage ist: Wie kann man den Arbeitgeber für eine Investition vor Ort gewinnen?
Die zweite zentrale Frage ist: Wie kann man die einzelnen Mitarbeiter für die Veränderung und Bildungsanstrengung gewinnen?
Michael Eichelsbacher stellt eine Kommunikationsstrategie dazu vor.
Wesentliche Akteure sind:
- Mitarbeiter
- Sprecher der Mitarbeitergruppe
- Prozessoptimierer
- Schicht-Meister
- Leiter der Montageeinheit
Wesentliche Elemente der Kommunikationsstrategie sind:
- Das Vorhaben wird gemeinsam mit Schicht-Meister / Leiter Montagearbeit, Betriebsrat, Kommunikationsexperte aufgesetzt.
- Eine umfassende Transparenz und regelmäßige Weiterinformation wird für alle Mitarbeiter gewährleistet.
- Die Ansprache der Mitarbeiter wird adressatengerecht gewährleistet (angepasste Sprache, bildhafte Darstellung, verschiedene Formate und Medien)
- Der Changeprozess wird durch Klausurtagungen und Feedbackrunden mit den Gruppensprechern begleitet.
- Die aktuellen Entwicklungen werden für alle Mitarbeiter visualisiert.
- Die Ergebnisse und Folgen für einzelne Tätigkeitsprofile werden individuell visualisiert dargestellt.
Die IG Metall hat für diese Prozesse eigens Weiterbildungsmentoren ausgebildet. An diese können sich Mitarbeiter wenden.
Zur partnerschaftlichen Umsetzung solcher Transformationsprozesse fordert die IG Metall einen transparenten Dialog im Betrieb:
- Offenlegung der Zukunftsstrategie
- Diskussionsprozesse zur Entwicklung von Wertschöpfungsinnovationen
- Bereitstellung betrieblicher Innovations- und Zukunftsfonds für Produktinnovationen
Rahmenbedingungen für eine Digitale Transformation mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
Über das jeweils konkrete betriebliche Engagement hinaus arbeitet die Gewerkschaft in regionalen Netzwerken zu Innovationen und Forschungsförderung. Die Gewerkschaften fordern, dass die Transformation der Wirtschaft durch den Gesetzgeber begleitet wird, in dem die betriebliche Mitbestimmung um ein Initiativrecht zur Innovation (Antrag auf Investitionen) erweitert wird, ein Transformationskurzarbeitergeld (Rechtsanspruch auf Weiterbildung bei zeitweiliger Minderbeschäftigung) eingeführt wird sowie Planungssicherheit für die technologische Rahmenentwicklung hergestellt werden (z. B. Breitbandausbau, 5G-Standard, Elektromobilität, etc.). Hilfreich ist auch, wenn sich die Weiterbildungslandschaft für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unterschiedlicher Qualifikationsstufen entsprechend mitentwickelt.
Für die Betriebe am Untermain kann man feststellen, dass unabhängig vom Sitz der Eigentümer, in den vergangenen Jahren Innovationen implementiert wurden. Insgesamt gilt nach Einschätzung der Gewerkschaften, dass deutsche Unternehmen ihre Stärke in der Ingenieurskunst und im Facharbeitereinsatz haben. Beides wird auch in der Digitalen Wirtschaft gebraucht. Selbst künstliche Intelligenz muss dieses Modell nicht in Frage stellen.
Mehr Informationen unter www.igmetall.de