Amazon Go – Einkaufen ohne Schlange stehen
Wie ein Online-Händler den Offline-Einkauf revolutioniert. Ein kurzer Erfahrungsbericht vom Einkaufen bei Amazon Go.
Auf einer meiner letzten Reisen führte mich mein Weg eher zufällig zu einem AmazonGo-Markt in New York City. Mit Amazon Go wagt der bekannte US-Online-Händler Amazon ein Mal mehr den Sprung von der online in die offline Welt des stationären Einzelhandels. Das Versprechen: „Just Walk Out Shopping“, frei übersetzt: Einfach Einkaufen und Rausgehen. Klingt gut – und ist es auch.
Wie funktioniert das?
Aus Kundensicht ist die Antwort einfach: „AmazonGo“-App herunterladen (für US-Kunden von Amazon reicht auch die normale Amazon-App), dort bei der erstmaligen Nutzung Name, E-Mail-Adresse und Kreditkarte hinterlegen, einkaufen gehen. Um in den eigentlichen Supermarkt zu gelangen, wird an einer Schranke im Eingangsbereich der in der App angezeigte QR-Code auf das entsprechende Lesegerät gelegt. Danach ist der Weg zum (noch überschaubaren) Angebot an kalorienhaltigen Snacks, frischem Obst, tiefgekühlten Fertigprodukten und Getränken - der obligatorische Starbuck’s-Kaffee im Pappbecher gehört natürlich auch zum Angebot - frei. Einkaufswagen gibt es nicht, die Ware wird entweder in der Hand getragen oder in eine der kostenlosen Einkaufstaschen gelegt. Am Ende der Shoppingtour führt der Weg ohne erneute Identifizierung wieder durch eine Schranke – fertig.
Sensoren machen es möglich
Der Kassenbon wird nach wenigen Minuten in der App angezeigt. Keine Kasse, keine Kassierer, kein Warten. Fantastisch!? Ja, absolut. Kein hektisches Suchen der Kreditkarte, keine lästige Frage nach einem der vielen „Punkte-Sammelkarten“ und vor allem bleibt das Gefühl aus, „wieder die falsche, langsamste Schlange an der Kasse gewählt zu haben“. Aber wie ist das möglich? Eine erste Recherche – Sandwich in der einen, Smartphone in der anderen Hand – lieferte folgende Antwort: Sensoren, Sensoren, Sensoren! Welche genau? Darüber ist relativ wenig zu erfahren, auch nicht durch eine etwas umfassendere Recherche am heimischen Laptop. Denn die genaue technische Umsetzung gehört derzeit noch zum Betriebsgeheimnis von Amazon. Soviel ist jedoch bekannt: Neben Bildsensoren (Kameras) setzt Amazon u.a. auch Bewegungssensoren, sowie Gewichts- und Beschleunigungssensoren in den Regalen ein. Diesen Mix an Sensoren gibt Amazon den etwas nebulösen Begriff „Sensor Fusion“.
Der gläserne Kunde?
Damit kommen wir auch zum kritischen Aspekt, der wohl vorerst verhindern wird, dass diese Läden bald auch in Europa zu finden sein werden: Es ist schlicht nicht bekannt, welche Daten gesammelt, gespeichert und analysiert werden. Der Fantasie sind folglich vorerst keine Grenzen gesetzt und man kann annehmen, dass wir der Vision vom „gläsernen Kunden“ wieder ein Stückchen näher sind. Nehmen die Bildsensoren z.B. meinen Gesichtsausdruck während der Betrachtung unterschiedlicher Produkte auf und leiten davon Präferenzen ab, damit mir beim nächsten Online-Einkauf noch passendere Angebote unterbreitet werden können? Werden Körperhaltung und Gangweise analysiert, um mir bei nächster Gelegenheit eine stützende Kniebandage zum Tagestiefpreis zu empfehlen? Was auch immer für Auswertungen im Hintergrund laufen, Amazon gelingt es auf diesem Wege seinen bisher „gesichtslosen“ Online-Kunden im wahrsten Sinne des Wortes ein Bild zuzuordnen und dürfte damit einen weiteren Wettbewerbsvorteil erlangen. Neben Haar- und Gesichtsfarbe sind auf einmal z.B. auch Körper- und Schuhgröße ermittelbar. Und da beim Betreten des Supermarktes der Inhaber der App mehrere Personen nacheinander mit dem gleichen QR-Code durch die Schranke lassen kann, sind theoretisch auch Aussagen zu den Begleitpersonen, wie z.B. Anzahl, Alter, Geschlecht und Größe möglich. Der Online-Kunde Max Mustermann wird also zum Vater einer dreiköpfigen Familie, so dass beim nächsten (Online-)Einkauf für ein Kind eher kalorienreduzierte Lebensmittel empfohlen werden, während für das andere ein neues, sensitives Gesichtswasser mit verstärkter Tiefenwirkung angepriesen wird.
Komfort oder Datenschutz?
Welchen Preis zahle ich also als Kunde für diese komfortable Art des Einkaufens? Das ist schwer zu ermitteln und bislang nicht in Euro auszudrücken. Als ich zurück in Frankfurt mit dem schreienden Nachwuchs wieder einmal in der „falschen Schlange“ stand, waren diese Bedenken zumindest schnell verflogen und ich wünschte mir einfach einen schnelleren und komfortableren Bezahlvorgang – koste es, was es wolle.
Ein Beitrag von Prof. Dr. Carsten Reuter