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Wege in eine nachhaltige Energiezukunft

Teil 2 der Ringvorlesung Nachhaltigkeit (Prof. Dr. Konrad Mußenbrock)

 

Ein Beitrag von Katja Leimeister und Joachim Schmitt 

 

Eine Welt steht unter Strom

Die sogenannte Energiewende ist keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Der Club of Rome wies eindringlich bereits Ende der 1960iger Jahre auf die Grenzen des Wachstums hin. 1975 prangerte der Wissenschaftler und Politiker Herbert Gruhl in seinem Buch „Ein Planet wird geplündert“ die Kombination aus Bevölkerungswachstum und Konsumorientierung als große Gefahr für die ökologischen Lebensgrundlagen der Menschheit an.

 

Das Bewusstsein, dass sich etwas an dem Ressourcenverbrauch vor allem in der industrialisierten Welt verändern muss, kam mit dem erkennbaren Klimawandel in den letzten Jahren wieder verstärkt auf die Tagesordnung. In deutlichem Widerspruch dazu steht der nach wie vor enorme und sogar exponentiell wachsende, globale „Energiehunger“.

 

Berechnungen haben ergeben, dass sich von Beginn des Holozäns (vor 11.700 Jahren) bis zum Jahr 1950 dieser menschliche „Energiehunger“ in Form von Wärme, Mobilität und letztlich Strom auf 14,6 Zettajoule summierte. Alleine in den sieben Dekaden seit 1950 sind es 22 Zettajoule - das ist eine 22 mit 22 Nullen. (Quelle: Joachim Müller-Jung in der FAZ vom 21.10.2020). Diese Dynamik hat erhebliche Auswirkungen auf die weitere Reichweite der verfügbaren Energie-Ressourcen.

 

Energie als Schlüsselressource

Bezahlbare und saubere Energie steht bei den 17 Nachhaltigkeitszielen der UN auf Platz 7. Interessant ist dabei, dass viele der Ziele auf den vorderen Plätzen, ohne verfügbaren Energieeinsatz nicht denkbar sind. Beispielsweise steht Hunger auf Platz 2 - die Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung ist aber ohne den Einsatz von technischen Energieträgern kaum vorstellbar.

Die 17 UN Nachhaltigkeitsziele aus der Agenda 2030
Die 17 UN Nachhaltigkeitsziele aus der Agenda 2030

Gefordert wird daher eine Energiewende – auch und gerade in Deutschland. Wie kann diese aber aussehen? Wo liegen die Herausforderungen? 

 

Die Produktion läuft auf Hochtouren

Deutschland hat sich in den letzten Jahren sehr intensiv um den Ausbau der erneuerbaren Energien gekümmert. Inzwischen werden bereits 42 % des Energiebedarfs aus Erneuerbaren gedeckt. Das klingt gut und kann sicher weiter ausgebaut werden. Offen bleibt die Frage, wie man damit umgeht, dass das Angebot und der Bedarf ständig voneinander abweichen. Strom aus Windkraft wird beispielsweise viel in Norddeutschland „geerntet“, die industriellen Verbraucher finden sich aber vermehrt in Süddeutschland. Sonnenenergie entsteht vorwiegend in den Sommermonaten, doch Energie fürs Heizen braucht man eher im Winter. Es gibt also zeitliche und räumliche Abweichungen, die überbrückt werden müssen oder zu Problemen in der Netzstabilität führen.

 

Der Netzausbau läuft schleppend

In Deutschland sind Netzbetreiber für die Stabilität der Stromversorgung zuständig. Sie müssen die Frequenz und Spannung stabil halten und lokale Engpässe sowie Überangebote managen. Konventionelle Kraftwerke - mit Kohle, Gas oder Uran betrieben – haben technisch gesehen den Charme, dass sie von Menschenhand steuerbar und relativ kurzfristig regelbar sind. Sie können für Spitzenlasten hoch- und bei geringer Last heruntergefahren werden. Sonne und Wind hingegen sind wetterabhängig und bringen damit neben dem Verbrauch selbst noch Schwankungen ins Netz. Die Gefahr von Teilabschaltungen zum Schutz vor Über- oder Unterspannungen wächst. Die vernetzten Systeme sind so anfällig für Störungen, dass unter Umständen eine lokale Abschaltung von Hochspannungsleitungen in ganz Europa zu bemerken ist. So geschehen 2006 bei der Ausschiffung der „Norwegian Pearl“ aus der Meyer Werft in Papenburg – eine Hochspannungsversorgung wurde durchtrennt und führte zu flackernden Lichtern weit über Deutschland hinaus. Aktuell wird deshalb der Ausbau der Verteilungsnetze vorangetrieben – Südlink ist ein Stichwort, das auch in Unterfranken zu Kontroversen führt. Diese Strategie ist folgerichtig, aber auch teuer und braucht erwartbar mehr Zeit als wünschenswert. Deshalb sollte diese durch zwei weitere Parameter ergänzt werden.

 

Ergänzungsstrategie 1: Ausbau diverser Speicherkapazitäten

Eine Entlastung der Verteilungsprobleme könnte durch unterschiedlichste Systeme zum Speichern von Energie entfaltet werden. Dabei gilt es die folgenden drei Dimensionen zu betrachten:

  • Wo kann die Energie eingesetzt werden? Am Ort der Bereitstellung oder an einem entfernten Ort?
  • Für welches Einsatzgebiet kann die Energie eingesetzt werden? Für Wärme, Strom oder Mobilität?
  • Wie lange kann die Energie gespeichert werden? Kurzfristig oder zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt?

Daraus ergibt sich eine dreidimensionale Matrix zur Beurteilung von Speichern. Kondensatoren eignen sich beispielsweise für die kurzfristige Speicherung von Strom und eine Nutzung am Ort der Bereitstellung. Der vielzitierte Wasserstoff ist für eine mittlere Nutzungszeit in der Mobilität eine probate Lösung.   

Dreidimensionale Matrix zur Beurteilung von Speichern
Dreidimensionale Matrix zur Beurteilung von Speichern

Wichtig ist, dass es nicht die EINE Speichertechnologie gibt, sondern dass der sinnvolle Mix entscheidend für das Gelingen der Energiewende ist. Alle Speicher haben Vor- und Nachteile. Deshalb muss auch weiterhin in allen Bereichen geforscht und in zahlreiche Projekte investiert werden. In diesem Sinne ist ein wichtiger Aspekt, die Speicherkapazitäten mehrdimensional auszubauen und damit die Versorgungssicherheit zu stabilisieren.

 

Ergänzungsstrategie 2: Flexibilisierung der Kundenlast

Darüber hinaus gibt es ein erhebliches Potenzial in der Flexibilisierung der Kundenlast. Hierzu hat die Technische Hochschule Aschaffenburg mit regionalen Unternehmen mehrere Untersuchungen durchgeführt. Einerseits liegen Möglichkeiten in der vernetzten Steuerung von Ladevorgängen für private PKW. Andererseits könnten Optimierungen in der betrieblichen Organisation zu einer Reduzierung von Spitzenlasten führen. Dies wurde für den Betrieb einer Staplerflotte (Flurförderfahrzeuge) als auch für die Gesamtorganisation eines Produktionsbetriebes erforscht. Mit Blick auf den intelligenten Betrieb von Flurförderfahrzeugen wurden diese Vorarbeiten nun in ein vom Freistaat Bayern gefördertes Forschungsprojekt überführt. Letztlich sollen auf diesem Weg auch betriebswirtschaftliche Anreize für den Aufbau von intelligentem Energiemanagement entwickelt werden.

 

Intelligenz kann sich rechnen

Für eine solche, mehrdimensional organisierte, nachhaltige Energieversorgung braucht es weit mehr als bezahlbare Technologien. Genauso wie der Aufbau erneuerbarer Energieproduktion oder der Ausbau der Stromnetze braucht es auch für Speicherlösungen und intelligente Verbrauchssteuerung eine Anschubfinanzierung des Marktes. Die wirtschaftlichen Erlöspotenziale liegen dabei nicht nur in der direkten Produktion, Verteilung oder Zwischenspeicherung von Energie. In einem umfassend erfassten und vernetzten Strommarkt ließen sich auch Marktsituationen nutzen, in dem Akteure je nach Möglichkeit z. B. Überkapazitäten in hauseigene Speicher oder PKW laden und diese später gewinnbringend verkaufen. Es wäre durchaus im Interesse der Netzstabilität, wenn Eigenproduktionen der Photovoltaik z. B. direkt und lokal an Mieter verkauft würden. 

Das Problem ist, dass es hierzu aktuell weder eine technische Infrastruktur noch die dazu passenden gesetzlichen Rahmenbedingungen gibt. Mit der Förderung und Entwicklung derartiger Lösungen würde im Ergebnis das Netz stabilisiert und die Stromversorgung in Deutschland den Erwartungen entsprechend günstiger. Gleichzeitig könnte ein Teil der eingesparten Kosten für Stabilisierungseingriffe und Netzausbau zugunsten dezentraler Marktteilnehmer umverteilt werden. Auf diese Weise kann die Energiezukunft für Deutschland gleichermaßen ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltig sein.

Präsentation zum Download

 

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