· 

Verreisen! Oder lieber doch nicht?

Ringvorlesung Teil 7: Nachhaltiger Tourismus

Prof. Dr. Julia E. Peters, Hochschule Kempten

 

Ein Beitrag von Katja Leimeister und Joachim Schmitt

 

Mit Reisen assoziiert man vor allem die Befriedigung von individuellen Bedürfnissen wie Erholung, bleibende Eindrücke von Naturdenkmälern und das Eintauchen in fremde Kulturen. Für jeden Typ gibt es das passende Angebot – von Pauschalreise bis hin zum Rucksacktouristen.

 

Licht- und Schattenseiten

Für die Anbieter – vom Reisebüro bis hin zur Airline, dem Skiliftbetreiber oder dem Hotelier – sind viele sehr unterschiedliche Akteure an der Wertschöpfung beteiligt. Sie alle versprechen sind durch (Massen-)Tourismus unternehmerischen Erfolg.

Doch der Tourismus in seiner Gesamtheit hat auch viele Schattenseiten. Dieser wichtige Wirtschaftszweig schafft - wie kaum ein anderer - zahlreiche Arbeitsplätze mit fragwürdigen Bedingungen. Schlechte Bezahlung, mäßige Karrierechancen und extrem hohe Arbeitsbelastung in der Hochsaison sollen hier beispielhaft genannt sein. Aus ökologischer Sicht fällt die Vermüllung und Übernutzung der beliebtesten Reiseziele auf. Bis zu 25 % des Vor-Ort anfallenden Mülls geht je nach Urlaubsregion auf das Konto der Reisenden. Der Massentourismus trägt auch zur Aushöhlung von Kulturen und Traditionen bei. Das fängt bei Speisen an, die auf den Geschmack des Touristen angepasst werden, und hört bei Darbietungen wie Gesang und Tanz, die kommerzialisiert angeboten werden, noch lange nicht auf. Der ehemals als Geheimtipp angepriesene Sehnsuchtsort ist zum überlaufenen Mekka der Reisenden geworden. Die Massen ziehen dann noch Kriminelle an, Xenophobie bekommt Futter.

 

Oftmals spielen die Destinationen mit, werben aggressiv für ihre Sehnsuchtsorte und stellen die heimische Tourismuswirtschaft darauf ab, denn sie versprechen sich hohe Gewinne und Wohlstand für die Region. Doch muss man ehrlicherweise feststellen, dass ein Großteil der Einkünfte nicht in der Region verbleibt. Hotelkonzerne, die ihre Gewinne oftmals nicht im Urlaubsland versteuern, profitieren in großem Stil, ebenso werden Margen bei den großen Reiseanbietern, Fluggesellschaften und anderen am „Reiseprozess“ beteiligten Akteuren abgeschöpft. Man spricht hier auch von Sickereffekten.

 

Tragfähigkeit muss berücksichtigt werden

 

Rechnet man die Schäden mit ein, kommt man schnell zu einer negativen Bilanz, denn Nachhaltigkeit wird von den Destinationen oft nicht mitgedacht. Mit dem Massentourismus wird die Zerstörung der Attraktoren oft beschleunigt. Das Bewusstsein bzw. die Akzeptanz, dass es Grenzen des Tourismus geben muss, da die Sättigung der Destinationen erreicht sind, fehlt häufig. Es werden keine Tragfähigkeitskonzepte entwickelt.

Bild: Tragfähigkeitskonzepte, die sich an einer nachhaltigen Entwicklung orientieren müssten.

 

Ob Venedig, Tadsch Mahal oder Great Barrier Reef – Natur- und Kulturdenkmäler können nur eine begrenzte Zahl an Besuchern unbeschadet verkraften. Und sobald dem Reisenden bewusstgemacht wird, dass das auf Dauer so nicht funktionieren kann, reizt ihn dies unter Umständen umso mehr, „noch schnell mal vorbeizuhoppen“, bevor es zu spät ist. Die Zerstörung dieser allgemeinen Besitztümer, Allmende genannt, nimmt ihren Lauf. (Wiki-Link)

 

Generell ist natürlich auch der Reisende ein wichtiger Treiber der ungesunden Entwicklung im Tourismus. Ohne ihn und seine Bereitschaft für Reisen (viel) Geld zu investieren, würde sich die Frage nach der Tragfähigkeit erst gar nicht stellen. Abgesehen von den hehren Zielen, die ein Tourist verfolgen mag – wie Bildung, Völkerverständigung, Wertschätzung von Kultur und Natur - rechtfertigt der Reisende sein Handeln mit seiner individuellen Lebensführung, bei der er das ganze Jahr auf vieles verzichte. Im Urlaub könne es man in einem Mehr-Sterne-Ressort dann schon mal „krachen“ lassen, sich etwas gönnen. Ansonsten fahre man ja (bald) ein E-Auto, esse kaum Fleisch, kaufe immer öfter regional und Ähnliches. Diese Einsparung an CO2 sowie Müll etc. wird in diesem Sinne „reinvestiert“. Es kommt zu einem Rebound-Effekt und die Einsparungen des nachhaltigen Lebens gehen verloren. (WIKI-Link)

 

Wird Corona nun zu einem veränderten Reiseverhalten führen?

Klar ist, im Jahr 2020 hat die Tourismusbranche den größten Rückgang zu verzeichnen. Es wird auf ein Minus von rund 60 – 80 % hinauslaufen. Keine Krise nach dem 2. Weltkrieg hat einen vergleichbaren Rückgang provoziert. Generell gilt die Reisebranche als ziemlich resilient, erholte sich also immer sehr schnell von Krisen. Doch dieses Mal sind die Indikatoren weniger positiv zu beurteilen: Alle Länder waren gleichermaßen betroffen und nach einem extremen Einbruch im Frühjahr 2020 – einschließlich Grenzschließungen - und Unsicherheiten über den Sommer folgte ein Herbst/Winter 2020/2021, bei dem Meldungen wie „Schließung von Skigebieten“ und „Quarantäne-Auflagen nach Rückkehr“ nicht zur schnellen Erholung beitragen.

 

Ist die Rückkehr zum alten Zustand wahrscheinlich und wünschenswert?

Es bleibt abzuwarten, wie schnell die Reiseweltmeister aus China (Platz 1) und Europa (Deutschland auf Platz 2) zu ihren liebgewonnenen Gewohnheiten zurückfinden. Bis dahin drohen jedoch Pleitewellen sowie soziale Not und Unruhen in Entwicklungs- und Schwellenländern, die – anders als in Deutschland – ihre Tourismuswirtschaft finanziell nicht unterstützen können. Während sich die Natur in fernen Destinationen erholt (z. B. sauberes Wasser in den Kanälen von Venedig), entstehen Effekte des „Overtourism“ in den Binnendestinationen wie Allgäu, Ostsee etc.  Und eine Art des Urlaubmachens hat in diesem Jahr geboomt wie nie: das Campen.

 

Auch mittelfristig sind Veränderungen absehbar. Die IATA (International Air Transport Association) gibt an, dass man das Niveau an Flügen von 2019 vermutlich in 2023 oder 2024 wieder erreichen wird. Damit verbunden sind die steigende Attraktivität von ländlichen Urlaubsregionen, der Camping-Trend wird vermutlich anhalten und das individuelle Reisen mit dem eigenen Auto auch. Öffentliche Orte und Verkehrsmittel, auf deren Hygienekonzepte man selbst nur wenig Einfluss nehmen kann, werden an Bedeutung verlieren. Generell gilt zu hoffen, dass die Resilienz eher eine transformative sein wird, sprich das System verbessert und für Krisen vorsorgt wird.

 

Fazit

 

Jeder von uns kann mithelfen, die Schattenseiten des Tourismus zu beheben. Beispielsweise bietet sich an, Reisen außerhalb der Hauptreisezeiten anzutreten, Fernreisen eher seltener dafür länger zu planen (und ansonsten auf Flüge zu verzichten), Pauschalreisen zu vermeiden und mit einheimischen Anbietern authentische Begegnungen zu organisieren, die Naherholung wertzuschätzen und das „grüne Gewissen“ nicht zuhause zu lassen. 

Präsentation zum Download

 

Die Präsentation finden Sie auf unserer Lernplattform. Einfach einschreiben und loslegen!