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Ökonomische Krise und Nachhaltigkeit

Ringvorlesung Teil 11

Prof. Dr. Carsten Reuter und Prof. Dr. Erich Ruppert

 

Ein Beitrag von Katja Leimeister und Joachim Schmitt

 

Krisen tun weh, öffnen aber auch Türen für Veränderungen

Gibt es eine Verbindung zwischen Krise und Nachhaltigkeit? Haben Krisen Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit? Wenn ja, wann und wo? Und was können wir daraus lernen?

 

Eine Krise ist eine Zuspitzung einer Situation, die als bedrohlich empfunden wird. Dabei gibt es unterschiedliche Anlässe, die eine Krise auslösen können: Man denke an Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüche, Tsunamis, Erdbeben oder auch Pandemien, technische Unglücke (z.B. Tschernobyl), menschengemachte Kriege und kriegerische Handlungen sowie wirtschaftliche Krisen (z.B. Dot.com-Blase, Immobilienblase, Finanzkrise) … Ihnen gemein ist, dass die Situation zum unmittelbaren Handeln herausfordert, um kurzfristig zu überleben.

 

Mittel- und langfristig müssen Schutzmechanismen entwickelt werden, um das (Wieder-)Entstehen dieser Krisen abzuwenden und falls dies nicht möglich ist, die Folgen einer gleichen oder ähnlichen Bedrohungslage abzumildern.

Charakteristisch für Krisen ist, dass sie immer auch wirtschaftliche Folgen haben und dass sie nicht jede Person gleichermaßen treffen. Aufgrund sozialer Unterschiede, Branchenzugehörigkeit, geographischer Herkunft, etc. können Krisen Gewinner und Verlierer hervorbringen. Man spricht dann von einer Diskriminierung durch die Krise. Bestes Beispiel, aktuell bezogen auf Deutschland: Der Einzelhandel und die Veranstaltungsbranche leiden massiv unter den Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, während IT- und Medizinunternehmen einen Boom erleben.

 

Krisen können entlastend oder verstärkend wirken

Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass eine nachhaltige Orientierung im Umgang mit Krisen immer auch einen weiten, langfristigen Blick erfordert, womit sich allgemeine Entwicklungen und Krisenphänomene verstärkend oder mildernd auswirken. Zum Beispiel wird erwartet, dass sich die Weltbevölkerung in den nächsten 30 Jahre um weitere 2 Milliarden erhöht; insbesondere in Teilen Afrikas und Asiens. Wenn wir in diesem Zusammenhang und mit Blick auf die Nachhaltigkeitsziele der UN auf Armut schauen, stellen wir fest, dass der Anteil der absolut armen Menschen oder unterernährten Kindern zuletzt weniger geworden sind. (Zahlen von 2018, der Corona-Effekt ist hier also nicht berücksichtigt!) Zugleich kann man feststellen, dass, gerade arme Regionen der Welt nur wenige Resilienz in ihrer Wirtschaft, in ihren Sozialsystemen und im Umweltschutz haben, um Krisen - wie beispielsweise die Corona-Pandemie - abzufedern. Im Zeitablauf folgen auf die unmittelbaren Gesundheitsfolgen der Pandemie eventuell noch mehr Hunger in weiten Teilen Afrikas oder soziale Verwerfungen in Asien, womit diese Regionen bei der Erreichung vieler der Nachhaltigkeitsziele noch weiter hinter die Industriestaaten der Nordhalbkugel zurückfallen. Gerade dort können krisenhafte Zuspitzungen also langfristige Schäden hervorrufen. 

 

Auf der anderen Seite hat die Corona-Krise die zeitnahe Umweltbelastung in vielen Regionen der Welt maßgeblich reduziert. Besonders deutlich ist dies am CO2-Ausstoß im ersten Halbjahr 2020 abzulesen. Dem steht entgegen, dass mit Corona das Klimaproblem in der öffentlichen Wahrnehmung zurückdrängt wurde. Historisch betrachtet ist der CO2-Ausstoß durch Krisen eher nur vorübergehend gedämpft worden. Selbst der Corona-Effekt war vermutlich nur ein kurzfristiger, bereits im 3. und 4. Quartal 2020 haben einige Staaten mehr CO2 ausgestoßen als im Vergleichszeitraum 2019. Projektionen gehen davon aus, dass nur mit noch weiter verstärkten politischen Maßnahmen eine dauerhafte Reduktion der Klimagasemissionen erreicht werden kann. Zumindest in der Vergangenheit haben ökonomische Einbrüche aber auch mittelfristig zur Einführung effizienterer Technologien beigetragen, nur haben die Rebound-Effekte beispielsweise das Volumen des globalen Handels etc. ansteigen lassen und damit den Einspareffekt bei den Klimagasen überkompensiert. Lokal und kurzfristig hat die Krise bereits das Müllaufkommen erhöht, eine „Plastikkrise“ wurde proklamiert.

Quelle: www.carbonmonitor.org
Quelle: www.carbonmonitor.org

Viele Wechselwirkungen

Darüber hinaus hat sich die Zielerreichung weiterer Milleniumsziele der UN erheblich verschlechtert: Am Beispiel von Corona zeigt die Grafik des United Nations Department of Economic and Social Affairs (UN DESA) insgesamt auf, wie die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele sich gegenseitig beeinflussen. Vom Treiber Corona ausgehend gibt es eine Reihe von Wechselwirkungen. 

 

Auf das Ziel 10 - weniger Ungleichheit - wirken vier andere Ziele negativ ein. So sieht die UN unter anderem das Ziel der menschenwürdigen Arbeit und das Ziel der „hochwertigen Bildung“ durch Corona gefährdet und sie erwartet die Zunahme von Ungleichheit. Bildung ist mit geschlossenen Schulen kaum hochwertig auszugestalten, besonders auch dann, wenn digitale Bandbreiten in vielen Schulen und bei den Home-Schülern begrenzt sind, oder nicht jeder Schülerin und jedem Schüler ein Endgerät zur Verfügung steht. Damit einher geht, dass das Ziel 5 „Geschlechtergerechtigkeit“ beschädigt wird, weil fehlende Kinderbetreuung häufig auf die Frauen abgewälzt werden. Es gilt also bei Krisen immer eine Gesamtschau auf die Zusammenhänge zu werfen. 

Quelle: UNDESA
Quelle: UNDESA

Finanzkrise: Der Abbau von Überkapazitäten von Containerschiffen wird überkompensiert

Die Finanzkrise 2009 hat eine globale wirtschaftliche Krise in den Folgejahren nach sich gezogen. Die Handelsvolumina brachen weltweit ein. Im Bereich der Frachtschiffe, die den Großteil von Waren transportieren, entstanden schnell Überkapazitäten. Trotz der begründeten Vermutung, dass nach einer Erholung wieder größere Frachtvolumina erforderlich wären, wurden seit 2009 Frachter im großen Stil abgewrackt. Dies erfolgte zu einem großen Teil in den Ländern Bangladesh und Indien, die mit dem fragwürdigen „Beaching-Verfahren“ Mensch und Umwelt gefährden. So gelangen giftige und krebserregende Substanzen in Boden, Wasser und Luft und gefährden nicht nur die Arbeiter, sondern die gesamte Bevölkerung im Umland. Gleichwohl erscheint es für viele Menschen ohne echte Alternative, weil andere Einkommensquellen, zumal in einer Wirtschaftskrise, nicht einfach abrufbar sind. Dem Gegenüber war im direkten Anschluss an die Wirtschaftsflaute zu beobachten, dass die führenden Werften noch größere Frachter zu Wasser lassen. Der Abbau wird quasi überkompensiert, die Frachtvolumina steigen. Die ökologisch nicht nachhaltige Gleichzeitigkeit von Abwracken und Neubau setzt sich fort, auch weil es zumindest kurzfristig für die etablierten Akteure im Markt eine wirtschaftliche und soziale Stabilität verspricht.

 

Fall des Eisernen Vorhangs: Die Umwandlung der Baumwollwirtschaft in Usbekistan hat paradoxe Nebenwirkungen

Unabhängigkeitsbestrebungen der einzelnen Teile der Sowjetunion führten Anfang der 90iger Jahre zum Zerfall derselben. Dies wirkte sich massiv auf die Baumwollproduktion in der Teilrepublik Usbekistan aus. Der Wegfall von Absatzstrukturen und die Individualisierung der Lebenssicherung hat zur Abwanderung von Arbeitskräften geführt. Hinzu kam, dass in der kommunistischen Planwirtschaft die Investitionen in landwirtschaftliches Gerät eine Sache des Staates war. Durch die plötzliche Privatisierung fehlte sehr schnell das Geld für die Instandhaltung und den Kauf von Ersatzmaschinen. Diese Entmechanisierung führte zu mehr Personalbedarf, der aufgrund des Personalmangels zunächst durch die Ausbreitung von Kinderarbeit gelöst wurde. Das weltweite Verbot von Kinderarbeit wiederum und dessen Durchsetzung über die Vereinten Nationen, wurde in der usbekischen Autokratie über Zwangsarbeit von Erwachsenen kompensiert. Dies führte unter anderem dazu, dass Lehrekräfte für die Arbeit für die Devisen-trächtigen Baumwollfarmen zwangsrekrutiert wurden, die dann nicht mehr für die Schulbildung der Kinder zur Verfügung standen. Zugunsten der Kinderarbeit blieb damit das Ziel der hochwertigen Bildung wieder auf der Strecke. Auf diese Weise vergingen 25 Jahre in der Baumwollindustrie Usbekistans, in der Anpassungen immer auch zu Negativeffekten führten. Erst seit 2016 ist eine erkennbare Verbesserung zu verzeichnen. In diesem Sinne kann man feststellen, dass die Implementierung einer umfassenden Nachhaltigkeitsstrategie oft ein komplexer und langwieriger Prozess ist, der mitunter auch große Übergangs-Schwierigkeiten hervorbringt.

 

Krise und kein Ende oder nachhaltige Krisenbewältigung? Orientierung an globalen Regeln und Anreizen

 

Das Management von akuten Krisen nötigt viele Unternehmen zu einer schnellen Anpassung durch gesteigerte Vorratshaltung oder die agile Änderung von Geschäftsmodellen. Das mittelfristig angelegte Risikomanagement kann dagegen die Nachhaltigkeit stärker in den Blick nehmen und über die akute Krisenbewältigung hinausdenken. Dabei ist zu beachten, dass die Gesamtkomplexität der verschiedenen Nachhaltigkeitsdimensionen in einer globalisierten Wirtschaft vom Einzelnen kaum zu durchschauen sind. Einzelne Maßnahmen oder Kaufentscheidungen taugen wenig zur Bewältigung von mittelfristigen Risiken. Wie aufgezeigt, kann die Orientierung an Nachhaltigkeit aber Risiken mindern. Zugleich kann eingebettet in die internationalen Wechselwirkungen eine höhere Wirksamkeit erreicht werden. Umfassende Entwicklungen in Richtung Nachhaltigkeit lassen sich in einer dynamischen, global vernetzten Wirtschaft vor allem über die Implementierung von allgemeingültigen Regeln und über die Veränderung von wirtschaftlichen Anreizstrukturen etablieren. Unternehmen können so herausgefordert werden, ihre Lieferketten zu klären und auf Nachhaltigkeitsziele hin zu bereinigen. Hier scheint Bewegung im Bewusstsein zu sein, wenngleich die Investitionen in diesem Bereich noch zurückhaltend sind. Indikatorsysteme können hier für die Entscheidungsfindung in der Lieferkette helfen. 

Schon ab 2021 müssen große Konzerne in der EU im Rahmen der „Taxonomie-Verordnung“ ihre Aktivitäten zur ökologischen  Nachhaltigkeit veröffentlichen, und Regelungen zur sozialen Nachhaltigkeit sind in Vorbereitung. Die Regulierungen nehmen ein wenig die Unsicherheit aus der Frage: Um welche Nachhaltigkeitsgesichtspunkte soll ich mich denn nun kümmern und wie werden diese Einzelziele gegeneinander abgewogen? Diese Anforderungen werden auch an KMU herangetragen werden, zum einen von Finanzierungsgebern und zum anderen von den Großunternehmen als Auftraggeber. Diese Strukturen können proaktiv genutzt werden, um sich zum Thema Nachhaltigkeit positiv zu positionieren. Ein „Lieferkettengesetz“ oder die öffentliche Diskussion mit daran geknüpften Kundenverhalten werden diesen Trend noch verstärken. In diesem Sinne kann ein, an „Nachhaltigkeitszielen“ orientiertes Risikomanagement helfen, auch über akute Krisen hinaus am Markt erfolgreich zu sein, ohne die Voraussetzungen des eigenen Wirtschaftens mittelfristig zu gefährden.

 

 

Präsentation zum Download

 

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