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Gemeinwohlökonomie – Wirtschaftsmodell mit Zukunft?

Ein Blogbeitrag von Katja Leimeister 

 

Geht man vom verfassungsmäßigen Auftrag aus, dass Wirtschaft dem Gemeinwohl dienen müsse (ableitbar aus dem § 14 GG), ist klar: Eine Orientierung am Gemeinwohl sollte für alle Unternehmen selbstverständlich sein. Doch wirtschaftliche Interessen stehen bei den meisten Unternehmen im Vordergrund. Werte wie menschenwürdige Arbeit oder sozial und ökologisch nachhaltiges Handeln stehen dazu in Konkurrenz und werden nicht selten vernachlässigt.

 

Beim letzten Treffen der Community für nachhaltige Geschäftspraktiken stellte Jörg-Arolf Wittig (Ko­or­di­na­tor der GWÖ-Re­gio­nal­grup­pe Vor­de­rer Spess­art) das Modell der Gemeinwohlökonomie vor – eine Möglichkeit, Unternehmen am Gemeinwohl auszurichten, Maßnahmen für die Verbesserung abzuleiten und sich nach innen und außen als attraktiver Arbeitgeber sowie als ethisch einwandfreien Geschäftspartner zu platzieren.

 

Struktur durch Matrix

 

Anklang fand bei den Teilnehmenden die klare Struktur des Ansatzes: In einer Matrix mit den vier Werten „Menschenwürde“, „Solidarität und Gerechtigkeit“, „Ökologische Nachhaltigkeit“ sowie „Transparenz und Mitentscheidung“ werden Belege gesammelt, die für oder auch gegen eine gute Beurteilung eines Unternehmens hinsichtlich des Gemeinwohls sprechen. Dabei wird in fünf unterschiedliche Berührungspunkte bzw. Anspruchsgruppen unterteilt – neben den EigentümerInnen und FinanzpartnerInnen werden LieferantInnen, Mitarbeitende, KundenInnen und Mitunternehmen (also MitbewerberInnen) und das gesellschaftliche Umfeld berücksichtigt. Anhand eines vorgegebenen Fragenkatalogs in Arbeitsbüchern, die online verfügbar sind (Arbeitsmaterialien (ecogood.org), werden Punkte in den insgesamt 20 Matrixfeldern vergeben. 

Punktevergabe 

 

Am Ende entsteht ein verständliches Farbskalenmodell ähnlich dem, was man aus dem Bereich Energieeffizienz von Immobilien oder Elektrogeräten kennt. 

Impressionen der Veranstaltung


Anschauungsbeispiel Grüne Erde

 

Bernd Oppenrieder von „Grüne Erde“ – ein Unternehmen mit 14 stationären Läden und einem Onlineshop präsentierte im Anschluss an Herrn Wittigs Beitrag ihren Weg zur Gemeinwohlbilanz. Das Unternehmen, das Möbel und Wohnaccessoires sowie Mode und Kosmetik anbietet, ist bereits seit der Gründung auf das nachhaltige Handeln fokussiert. Bereits vor der Zertifizierung als Gemeinwohlbetrieb wurde speziell im Einkauf der Rohstoffe (vorwiegend Holz, Baumwolle, etc.) auf kurze Wege und nachhaltige Quellen geachtet und hierfür bereits früh umfassende Einkaufsrichtlinien entwickelt. Langfristige, kooperative Beziehungen stehen hier im Vordergrund. Gepaart mit einem hohen Eigenfertigungsanteil kann so die Lieferkette gut überwacht werden. 

 

Für die rund 550 Mitarbeitenden wurde ein menschenwürdiges Arbeitsumfeld geschaffen: gesund, sicher, sauber, fair entlohnt und geprägt von respektvollem Umgang miteinander. Oppenrieder betonte, dass Grüne Erde nicht in allen Matrixfeldern gut abschneidet: Im Bereich Eigentum und Mitentscheidung sähe beispielsweise die Gemeinwohlökonomie vor, dass Vorgesetzte von den MitarbeiterInnen gewählt werden. Dies sei bisher bei „Gründe Erde“ nicht vorgesehen, da man sich damit nur bedingt identifizieren könne.

 

Wie alle zertifizierten Gemeinwohl-Betriebe veröffentlicht Grüne Erde seine Gemeinwohlbilanz. Ein Kurz- und ein Langbericht kann auf der Webseite (Gemeinwohlbilanz | Grüne Erde (grueneerde.com)) nachgelesen werden. 


Da steckt viel Arbeit drin

 

Wer sich das Arbeitsbuch zur Gemeinwohlbilanz anschaut, merkt gleich: Es steckt eine Menge Arbeit drin, die Daten zu sammeln und aufzubereiten. Für die 20 Matrixfelder sind eine Reihe von Fragen zu beantworten und zu belegen. „Gerade wenn man es zu ersten Mal macht, ist der Aufwand natürlich nicht zu unterschätzen“, erläutert Jörg-Arolf Wittig, der Unternehmen bei der Zertifizierung begleitet und berät. „Doch der Aufwand lohnt, da man aufgrund der sauberen Struktur des Ansatzes schnell Handlungsfelder identifizieren kann. Auch wer keine Zertifizierung anstrebt, profitiert von einem klaren Blick auf die gelebten Werte im Unternehmen,“ sagt Wittig.

 

Vermehrte Anforderungen an Nachhaltigkeit kommen auf Unternehmen zu – jetzt Unterstützung holen

 

Ob über Verordnungen oder Gesetze, Druck durch Kunden, Belegschaft oder die Öffentlichkeit – Unternehmen tun gut daran, sich bereits jetzt auf die notwendige Nachhaltigkeitsberichterstattung einzustellen. An einer glaubwürdigen Kommunikation hinsichtlich ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit wird kaum ein Unternehmen auf Dauer vorbeikommen. Ein Einstieg dazu könnte ein Projekt mit Studierenden der TH Aschaffenburg sein: Prof. Carsten Reuter, Jörg-Arolf Wittig und Bernd Oppenrieder bieten kleinen und mittleren Unternehmen an, das Konzept der Gemeinwohlökonomie kennen zu lernen. Ein Gruppe Studierender würde dann – betreut durch die Genannten – anhand von zwei Berührungspunkten (siehe oben) die Daten für die unternehmenseigene Gemeinwohlbilanz zusammenstellen und aufbereiten.

 

Wer an diesem Angebot Interesse hat, sendet eine E-Mail an carsten.reuter@th-ab.de