Beitrag von Lucia Wenderoth zum Vortrag von Prof. Dr. Erich Ruppert im Rahmen der Ringvorlesung „Krisen und Auswege“ am 12. Dezember 2022
Als Ökonom, wie sich Prof. Ruppert selbst sieht, stellt er gleich anfangs klar, dass er den Begriff „Energie“ anderes benutzt als ein Ingenieur. „Deshalb ist es eingangs durchaus sinnvoll, bestimmte Begrifflichkeiten zu bestimmen und zugleich die Schwerpunkte des Vortags aufzuzeigen, nämlich die genaue Betrachtung der Energiemärkte, sowie die möglichen, sich darin entwickelnden Energiekrisen“, erklärt Ruppert weiter. Dabei geht es im Kern um die Preise und die Verfügbarkeit von Energieträgern. Zudem wird der Frage nachgegangen, ob die privaten Wirtschaftssubjekte oder der Staat für die Energieversorgung verantwortlich ist und warum der Umgang damit immer wieder die Verantwortlichen vor eine große Herausforderung stellt. Einige Lösungsansätzen, sowie kurz- und langfristige Reaktionen auf diese Probleme runden den Vortrag ab.
Worüber reden wir?
Man unterscheidet zunächst zwischen den primären (Kohle, Ölschiefer, Rohöl, Erdgas, spaltbaren Nuklearbrennstoffen, erneuerbare Energien sowie die Gewinnung der Energie aus Abfall) und sekundären Energieträgern. In den Jahren 1971 bis 2019 hat der globale Hunger auf Primärenergien sehr deutlich zugenommen. Für uns Menschen werden diese Energieträger erst durch Umwandlung brauchbar, dann spricht man von sekundären Energieträgern und von Nutzenergie, welche letztendlich Energiedienstleistungen generieren. Diese Leistungen sind aus ökonomischer Sicht interessant, wenn Menschen beispielsweise den Wunsch nach einer warmen Wohnung haben. In diesem Fall wird auch von Niedertemperaturwärme gesprochen. In der Industrie wird mitunter Prozesswärme von mehreren Hunderten Grad Celsius benötigten, die als Nutzenergieform dann als Hochtemperaturwärme bezeichnet wird. Wenn es um den Antrieb von Maschinen geht, kommt regelmäßig der besonders hochwertige Sekundärenergieträger elektrischer Strom zum Einsatz, in zunehmenden Maß auch bei Fahrzeugen.
Die verschiedenen Energiemärkte sind miteinander verbunden, weil eine Substitution, also ein Ersetzen, der verschiedenen primären und sekundären Energieträger in der Bereitstellung von Nutzenergie möglich ist, jedoch in der Regel nur zeitverzögert und unvollständig. Beispiel Erdgas: Dieses wird sowohl für das Heizen von Wohnungen als auch als primäre Quelle zur Stromerzeugung genutzt. In der Stromerzeugung wurde damit in den letzten Jahren in Deutschland die noch CO2-schädlichere Kohle ersetzt. Da kommt direkt die Markperspektive zum Einsatz: ökonomisch ist der Preis für die konkrete Wahl einer Energiequelle entscheidend, sofern die technischen Voraussetzungen gegeben sein oder durch entsprechende Investitionen geschaffen wurden.
Wir haben aber nicht nur die Marktabgrenzung nach verschiedenen Energieträgern, sondern auch eine geographische Markabgrenzung. Wir können die Energiemärkte weder auf der Angebotsseite noch auf der Nachfrageseite als rein nationale oder gar kleinräumigere Märkte betrachten.
Energiemärkte und Krise - Preise und Verfügbarkeit
Wenn man die Preisentwicklung der amerikanische Rohölsorte WTI seit Juni 2020 anschaut, stellt man fest, dass sich der Ölpreis verdreifacht hat. Dies haben wir alle an der Tankstelle gemerkt. Doch was aktuell besonders wehtut, sind die Gaspreise. Deren Anstieg hat schon im Jahr 2020 begonnen und bei der Einfuhr nach Deutschland hatte sich die Preise zwischenzeitlich versechsfacht. Im Vergleich zu diesen Einfuhrpreisen gingen die Verbraucherpreise für Gas bisher nur moderat nach oben. Das liegt vor allem daran, dass die Preise in vielen Fällen von den Versorgern erst ab dem 01.01.2023 angepasst werden. Dank einer weit vorauslaufenden Einkaufspolitik der Gaslieferanten vor Ort und der entsprechend bis zu zwei Jahren laufenden Verträgen mit Endkunden bekommen diese den extremen Gaspreisanstieg erst zeitverzögert weitergegeben. Viele Industriebetriebe haben dagegen auf kurzfristige Lieferverträge gesetzt, diese spüren deshalb die explodierenden Gaspreise jetzt unmittelbar.
Doch können wir bei solch einem Anstieg der Primärenergiepreise schon von einer Krise sprechen? Hierfür ist ein weiterer Blick auf die Ölpreisentwicklung sinnvoll und zwar rückblickend bis auf das Jahr 1986. Dabei stellen wir fest, dass es schon häufiger extreme Preisanstiege gegeben hat, beispielsweise von 1999 bis 2001, gefolgt von einem drastischen Preisverfall und einem erneuten Anstieg ab dem Jahr 2002 indem sich die Preise bis zum Jahr 2008 etwa verzehnfacht haben. Innerhalb von weniger als zwei Jahres danach fiel der Preis aber dann auf nur noch ein Viertel. Ein Problem für wirtschaftliches Handeln liegt nicht nur in den Preisanstiegen, sondern generell in den großen Schwankungen.
Die Folgen der VUCA-Welt
Wie soll man im Unternehmenskontext oder Privathaushalt entscheiden, wenn äußere Einflüsse und veränderte Erwartungshaltungen über zukünftige Entwicklungen extreme Preisanstiege und -stürze bei fossilen Energieträgern auslösen? Wer finanziert hohe Investitionen in Energieinfrastruktur, wenn man nicht sagen kann, ob im nächsten Jahr Öl oder verflüssigtes Erdgas noch zu den kalkulierten Preisen verfügbar ist oder Strom aus Windkraftanlagen nicht sehr billig wird? Ersetzt der Privathaushalt die Gas- und Ölheizung durch eine in der Anschaffung teure Wärmepumpe, um dann bei steigenden Strompreisen festzustellen, dass die warme Wohnung auch so kaum finanzierbar ist? Die Problematik, die dahintersteckt, lässt sich verkürzt mit vier Buchstaben beschreiben: VUCA. Das ist ein Akronym, um bei strategischen Führungsentscheidungen eine Situation mit sehr herausfordernden Rahmenbedingungen zu beschreiben. Die Buchstaben dieses Akronyms stehen für:
V – volatility (Unbeständigkeit, Unstetigkeit, Schwankungsanfälligkeit)
U – uncertainty (Unsicherheit, Unvorhersagbarkeit zukünftiger Ereignisse)
C – complexity (Komplexität, Systeme mit sehr vielen Einflüssen, die vernetzt sind)
A – ambiguity (Mehrdeutigkeit hinsichtlich der Erklärung, individueller Perspektiven)
Eine gewisse Unbeständigkeit in den Energiemärkten stellt kein Problem dar, denn dies ist meist mit statistischen Methoden erfassbar und dadurch auch mit Risikoaufschlägen über längere Zeiträume gut zu kompensieren. Problematisch wird es, wenn große Schwankungen und nicht prognostizierbare Veränderungen auftreten, die von unbekannten Faktoren und von sehr vielen anderen Systemen abhängig sind. Denn es gibt vielfältige Verknüpfungen zwischen den Energiemärkten und anderen globalen, gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen – und eventuell erratischer Entscheidungen autokratischer Regierungen in rohstoffreichen Staaten - mit der Folge von im Vorhinein unvorhersehbarer Marktveränderungen. Manchmal wissen wir nicht einmal, wie wir eine solche Veränderung wertend interpretieren sollen. Und genau das macht eine Krise aus.
Marktversagen der Energiemärkte
Bei der Betrachtung fällt auf, dass Energiemärkte schon sehr lange staatlich reguliert sind. Anlass ist, dass der Wettbewerb nicht zu den gesellschaftlich oder politisch gewünschten Marktsituationen führt. Das hängt zu einem mit der Marktmacht und den damit verbundenen Preissetzungsspielräumen der Anbieter zusammen. Diese entstehen zum Beispiel, weil die Exploration, also das Auffinden fossiler Energierohstoffe, zunächst teuer und aufwändig ist und deren Förderung mit enormen Investitionen verbunden ist. Zudem ist auch für die Logistik eine entsprechende Infrastruktur – wie beispielsweise Pipelines oder Hafenanlagen - von Nöten. Ist aber beispielsweise eine Ölquelle einmal angebohrt, dann ist die Gewinnung eines weiteren Barrels aus dieser Quelle nicht mehr sehr kostenintensiv. Diesen relativ geringen, sogenannten Grenzkosten stehen also anfänglich hohe fixen und versunkenen Kosten gegenüber, was die Bildung von Monopolen schon begünstigt.
Sind dann noch die geologischen Lagerstätten und die - bei jeweils gegebenen Preisen - wirtschaftlich erschließbaren Reserven fossiler Energieträger auf bestimmte Regionen und Länder konzentriert, steigt die Marktmacht der Anbieter weiter. Die Monopolisierung innerhalb der rohstoffreichen Staaten wird zudem regelmäßig durch staatliche Eingriffe, wie die Vergabe von Förderlizenzen an nur ein oder wenige (staatseigene oder durch eine Machtelite dominierte) Unternehmen, gefördert. Auf der Angebotsseite der Märkte für Primärenergieträger stehen deshalb häufig nur noch Nationalstaaten, aber nicht mehr viele kleine konkurrierende Anbieter. Diese Märkte sind dann weit von der theoretischen Idealform vollkommener Wettbewerbsmärkte entfernt, die kostenorientierte und tendenziell stabilere Preise ohne staatliche Eingriffe automatisch sicherstellen würden. Demgegenüber ist die Nachfrage nach Endenergie auf viele Unternehmen und Haushalte verteilt, die dieser Marktmacht wenig entgegensetzen können. In der wirtschaftswissenschaftlichen Terminologie sprechen von einem Marktversagen, weil die Ressourcenzuordnung auf solchen Märkten keine effizienten Lösungen hervorbringt. Zudem sehen viele Politiker bei Preisveränderungen für Energie immer gleich eine soziale Komponente der Verteilungsgerechtigkeit - sie lehnen die Marktergebnisse aus moralischen Gründen rundheraus ab.
Doch auch sogenannte externe Effekte bei der Förderung und der Nutzung fossiler Energieträger haben ihren Anteil an der Energiemarktproblematik. Die (negativen) externen Effekte bezeichnen die Kosten der Umweltzerstörung oder auch der Beseitigung der Umweltschäden (z. B. beim Fracking oder der CO2 Ausstoß bei der Verbrennung fossiler Energieträger). Negative externe Effekte sind in der Regel nicht in die privaten Entscheidungen eingepreist, sie werden quasi der (globalen) Gesellschaft als Ganzes aufgebürdet.
Last not least: Regenerative Energie ist in Deutschland nur begrenzt verfügbar, unseren Energieverbrauch komplett aus inländischen regenerativen Quellen abzudecken, scheint nicht zu vertretbaren Kosten möglich. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass Deutschland auch in einem Zeitalter regenerativer Energieträger auf Importe angewiesen sein wird.
Aus all diesen Gründen haben wir bereits seit Jahrzehnten (Jahrhunderten) eine hohe Regulierungsdichte in den Energiemärkten. Und nur so ist auch der Ansatz zu verstehen, dass nicht nur einzelne Unternehmen, sondern der Bundeswirtschaftsminister Habeck darüber verhandelt, aus Wind und Solar gewonnene Energie aus Namibia und Südafrika in eine grüne Wasserstoffkette einzuspeisen. Auch auf der Nachfragerseite ist hier also der Staat aktiv.
Ziele der Energiepolitik
Aus den vorstehenden Argumenten ergibt sich, dass es in der Energiepolitik drei wesentliche Zielsetzungen gibt, welche auch gesetzlich verankert sind: Preisgünstigkeit, Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit. Stets bewegen wir uns in dieser Konstellation zum Teil widersprüchlicher Anforderungen, denn zwischen den einzelnen Zielen gibt es natürliche Konfliktlage: Wenn fossile Energieträger preisgünstig zur Verfügung stehen, wird mehr verbraucht und der CO2-Ausstoß wächst. Auf Kosten der Umweltverträglichkeit gibt es dann keine wirtschaftlichen Anreize zu sparen. Historisch werden die drei Einzelziele deshalb durch die regierenden Parteien mit unterschiedlicher Gewichtung verfolgt. Durch die grüne Regierungsbeteiligung wurde beispielsweise die Umweltverträglichkeit stärker fokussiert als noch ein paar Jahre zuvor. Mit dem Ukraine-Krieg spielen jedoch plötzlich die Preisgünstigkeit und die Versorgungssicherheit eine doch viel größere Rolle.
Die kurze Frist, der lange Atem, Risiko und Erwartungen
Auf die bestehende Marktsituation können Menschen im Privaten und oder in Unternehmen kurz-, mittel- und langfristig reagieren. Kurzfristige Reaktion wäre die mittlerweile allseits bekannte Aufforderung „Frieren für Putin“ - also die Heizung runterdrehen und weniger Gas verbrauchen. Eine mittelfristige Lösung wäre eine Substitution der Wärmequellen, was sich jedoch oftmals unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten immer noch nicht rechnet. Wenn man wirklich etwas verändern will, kommt bei der Gebäudebeheizung nur eine bessere Gebäudedämmung in Frage, was jedoch mit noch höheren Kosten verbunden ist und länger dauert. „Ich denke, allein aufgrund der Dekarbonisierungsbestrebungen müssen wir die oben angesprochenen Substitutionsprozesse nicht nur anregen, sondern auch beschleunigen. Ob wir dies tun, indem wir in bestimmten Märkten sogenannte „Übergewinne“ besteuern, ist wieder eine andere Diskussion und eine Frage der Perspektive“, kommentiert Prof. Ruppert.
Fazit
Unabhängig davon, wie stark wir als Einzelne und alle zusammen unsere Verhaltensweisen verändern, scheint aufgrund der geopolitischen Problematiken und der angestrebten Dekarbonisierung langfristig absehbar, dass die Zeiten günstiger Energie vorbei sind. Auch wenn die Preise vorübergehend zurück gehen können und sie auch zukünftig stark schwanken werden, ein dauerhaft niedriges Niveau wie vor 10 Jahren werden sie sehr wahrscheinlich nicht wieder erreichen. Der Umstieg auf alternative, erneuerbare Energiequellen kann diesen Preisauftrieb langfristig sicher dämpfen, wenn nach einer Phase hoher Anfangsinvestitionen dann mit geringen Grenzkosten Nutzenergie produziert werden kann. Aber auch dies ist vor allem aus der Sicht der Unternehmen nur mit einem deutlichen aber unterschiedlichen Preisauftrieb bei Gütern und Produkten kompensierbar und realisierbar. Hier wird es starke preisliche Unterschiede zwischen energiearm und energieintensiv hergestellten Produkten geben.