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ChatGPT – Hilfe oder Gefahr für die akademische Lehre?

Eine Fishbowl-Debatte mit Experten von der TH Aschaffenburg – für und mit dem Publikum

 

Blogbeitrag von Prof. Dr. Georg Rainer Hofmann

 

Anlässlich der Veranstaltung „Open Campus“ fand am Samstag, dem 17. Juni 2023 von 15 bis 16 Uhr an der Technischen Hochschule in Aschaffenburg eine Fishbowl-Debatte statt.  Zum Thema „ChatGPT – Hilfe oder Gefahr für die akademische Lehre?“ diskutierten die Professoren Drs. Ralph Hirdina, Georg Rainer Hofmann, Holger von Jouanne-Diedrich und Michael Möckel unter der Leitung von Herrn Joachim Schmitt; er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Information Management Institut (IMI) der TH Aschaffenburg.

 

Als vor einigen Monaten die frei zugängliche KI-Software namens „ChatGPT“ vorgestellt wurde, setzte an den Hochschulen sofort eine vor allem experimentelle Nutzung durch die Studierenden und Lehrenden ein. Mit ChatGPT lassen sich überraschend sinnhaft erscheinende Texte für akademische Arbeiten und die Lehre generieren. Das Dialogsystem ChatGPT setzt auf sogenannten „großen Sprachmodellen“ auf und benutzt tiefe neuronale Netzwerkarchitekturen. Dies sind generative Modelle, die in der Lage sind, Textpassagen auf Anfrage automatisch zu generieren. An Wortsequenzen wird das jeweils nächstwahrscheinliche Wort angefügt. Auf diese Weise lassen sich Texte verschiedener Couleur und Stile automatisch und auf durchaus überraschendem Niveau generieren. Begründet das ein neues Verhältnis von „Mensch und Maschine“ in der Akademie? Sind schriftliche Leistungsnachweise überhaupt noch sinnvoll und individuell zurechenbar – wenn akademische Texte als billige „Rechenergebnisse“ generiert werden können? Sollte der Gebrauch von „ChatGPT“ an Hochschulen gar ganz verboten werden? 

 

Zu Beginn der Debatte am 17. Juni wurde ein kurzer Trailer zu „Was ist ChatGPT und was kann es?“ eingespielt, den Professor Dr. Holger von Jouanne-Diedrich auf YouTube veröffentlicht hatte. Herr Schmitt begrüßte die Teilnehmer und das Publikum und gab einen kurzen inhaltlichen Aufriss zum Thema; er stellte auch die vier Experten vor und gab eine Einführung zur Modalität der Publikumsbeteiligung.

Herr Schmitt stellte eine Einstiegsfrage an die Experten – sinngemäß „Sie sind langjähriger Professor an der TH Aschaffenburg und haben schon manchen Trend kommen und gehen sehen. Was leistet ein System wie ChatGPT – und was leistet es nicht?“  Die Antworten aus der Debatte lassen sich wie folgt markieren:

  • Das System ChatGPT hat einen „Hype“ verursacht. Dieses Phänomen ist in der Informationstechnik sicher nicht neu. So gab es vor ca. 4 Jahren einen „Bitcoin“-Hype.  Man prognostizierte, dass dieses neue Geld eine ganz neue Form der Wirtschaft begründen würde, die Banken würden überflüssig. Das Wissensmanagement prognostizierte vor ca. 15 Jahren, dass „Wissen“ von Personen unabhängig aufbewahrt werden kann. Mitte der 1990-er Jahre wurde mit dem Auftreten der „multimedialen CD-ROMs“ prognostiziert, dass es bald keine Papier-Bücher mehr geben würde.
  • Die Systeme der KI werden seit über 40 Jahren nach Maßgabe der anthropomorphen Projektion (völlig) überschätzt. Das hat Tradition und war schon beim System „Eliza“ von Weizenbaum in den 1960-er Jahren der Fall, damals verwendete man gar die Bezeichnung „Elektronengehirn“ schon für einen einfachen Taschenrechner.
  • Mithin kann das ChatGPT keine wissenschaftliche Arbeit herstellen und sie schon gar nicht vertreten.
  • Prof. Hofmann berichtet, dass Chat-GPT als "stochastischenrPapagei" bezeichnet wurde, der das (hinreichend oft) Wahrgenommene im Sinne einer Anwendung von Floskeln („Floskologie“) einfach nachplappert. Denn: Den Satz des Sokrates „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ wiederzugeben, heißt noch lange nicht, ihn auch „verstanden“ zu haben.
  • Demgegenüber unterstreicht Prof. Jouanne-Diedrich, dass Chat-GPT auf einem sehr großen Wissensbestand beruht und ein kompetenter Dialogpartner durchaus auch für viele akademische Fragen ist.

 

in der Mitte des "Goldfisch-Glases" sitzen die Experten und der Moderator. Das Publikum kann jederzeit in die Runde einbezogen werden.
in der Mitte des "Goldfisch-Glases" sitzen die Experten und der Moderator. Das Publikum kann jederzeit in die Runde einbezogen werden.

Die weitere Nachfrage von Herrn Schmitt bezog sich auf die Folgerungen für das Studium an einer Hochschule. Hierzu ergab die Debatte, auch aufgrund wertvoller Beiträge aus dem Publikum, die folgenden Eckpunkte:

  • Es sollte ein differenzierter Umgang mit den neuen Technologien angestrebt werden – jenseits von unreflektierten Hurras und inkompetenten Ablehnungen.
  • Ein Verbot des Gebrauchs von ChatGPT-ähnlichen Systemen an den Hochschulen führt in die Irre, denn ein Verbot führt zu „illegalen“ Nutzungen und dient dem Erkenntnisfortschritt nicht.
  • Stattdessen sollten die Lehrenden die Studierenden ermutigen, sich systematische Auskünfte von KI-Systemen einzuholen, und diese – falls sie brauchbar sind – in ihren Arbeiten als eine „synthetische Expertenmeinung“ verwenden und dokumentieren. 
  • Für Prüfungsleistungen kann eine bloße schriftliche Arbeit nicht mehr hinreichend sein. Durch ein begleitendes Kolloquium muss geklärt werden, ob die Studierenden die Inhalte der verfassten Arbeiten wirklich(!) verstanden(!) haben und vertreten können.
  • Die Prüfungsordnungen an den Hochschulen sind daher – gegebenenfalls – zu ändern, um der technologischen Entwicklung Rechnung zu tragen.
  • All dies impliziert einen gewissen Aufwand und auch Fortbildungsbedarf in der gesamten akademischen Gemeinschaft.

 

Die Ergebnisse der Fishbowl-Debatte am 17. Juni 2023 an der Technischen Hochschule in Aschaffenburg zum Thema „ChatGPT“ können als gewinnbringend und anschlussfähig für weitere Erörterungen angesehen werden.