Ein Blogbeitrag von Meike Schumacher zum Vortrag von Marcus Schuck, Betriebsseelsorger Bayerischer Untermain, KAB Diözesanverband Würzburg e. V. und Peter Hartlaub, Betriebsseelsorger Schweinfurt, Diözesanpräses KAB Würzburg
Der Begriff New Work hat in den letzten Jahren einen festen Platz in der Diskussion über die Zukunft der Arbeitswelt eingenommen. Dabei ist er oft mehr Schlagwort als gelebtes Konzept. Ursprünglich als Gegenentwurf zur klassischen Lohnarbeit konzipiert, wird der Begriff heute vor allem mit flexiblen Arbeitszeiten, Homeoffice und modernen Arbeitskulturen assoziiert. Doch wie viel von der ursprünglichen Vision ist geblieben, und was bedeutet New Work tatsächlich für Beschäftigte in Unternehmen?
„Wir möchten aus unserer Perspektive der Betriebsseelsorge einen Blick auf die Chancen und Herausforderungen werfen, die New Work für Arbeitnehmer:innen bietet“, so Marcus Schuck.
Die Ursprünge von New Work
Der Begriff New Work wurde in den 1980er-Jahren von Fritjof Bergmann geprägt, einem Philosophen und Visionär, der das Konzept als grundlegende Alternative zur klassischen Lohnarbeit entwickelte. Seine Vision war radikal: Arbeit sollte nicht mehr bloß ein Mittel zur Sicherung des Lebensunterhalts sein, sondern eine Möglichkeit, den individuellen Bedürfnissen und Talenten Ausdruck zu verleihen.
Bergmanns Konzept basiert auf drei Säulen:
· Lohnarbeit: Der klassische Erwerb bleibt ein Bestandteil, jedoch mit reduziertem Anteil.
· Eigenproduktion: Menschen sollten eigenständig Güter und Dienstleistungen produzieren können, etwa durch Technologien wie 3D-Druck oder Urban Gardening.
· Arbeit, die ich wirklich will: Der Fokus liegt auf Tätigkeiten, die die eigenen Fähigkeiten und Leidenschaften voll entfalten.
Sein Ziel war nicht nur eine neue Arbeitsorganisation, sondern eine tiefgreifende kulturelle Veränderung – hin zu einer Gesellschaft, in der Menschen sich freier und selbstbestimmter entfalten können. Doch was ist aus dieser Idee geworden?
Die Realität in Unternehmen: Ambivalenzen von New Work
Während Bergmanns Vision auf eine grundlegende Neuordnung der Arbeitswelt zielte, ist der Begriff New Work heute häufig auf bestimmte Aspekte moderner Arbeit reduziert. Das Konzept wird oft in den Kontext kapitalistischer Verwertungslogik gestellt, was seine ursprüngliche Intention verwässert.
Wenn es aber in den Horizont eines verstärkten Zugriffs auf die menschliche Arbeitskraft und der Senkung von Kosten gestellt wird, droht der Aspekt der kulturellen Veränderung der Arbeitswelt aus dem Blick zu geraten. Diese Entwicklung bringt sowohl Vorteile als auch Herausforderungen mit sich.
Ein zentraler Bestandteil von New Work ist die flexible Arbeitszeitgestaltung. Sie verspricht Beschäftigten mehr Freiraum, um Beruf und Privatleben besser zu vereinbaren. Doch in der Praxis führt sie häufig zu einer gesteigerten Erreichbarkeit. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen zunehmend, wodurch Arbeit oft in die private Zeit hineinreicht. Zudem verlagert die Einführung von Vertrauensarbeitszeit die Verantwortung für die Einhaltung der Arbeitszeit auf die Beschäftigten selbst. Dies kann zu einem Gefühl der Überforderung führen, da Beschäftigte nicht nur ihre Arbeit erledigen, sondern auch sicherstellen müssen, dass diese im Rahmen bleibt. Ein Beispiel zeigt, wie problematisch dies werden kann: Eine Arbeitnehmerin berichtete von einem Arbeitstag, an dem sie 13 virtuelle Halbstundenmeetings hintereinander absolvierte – ohne Zeit zur Vor- oder Nachbereitung. Solche Belastungen wären in einer klassischen Büroumgebung undenkbar gewesen.
Auch die zunehmende Verlagerung des Arbeitsortes ins Homeoffice bringt ambivalente Effekte mit sich. Zwar spart das Arbeiten von zu Hause Pendelzeiten und ermöglicht eine individuellere Gestaltung des Arbeitsalltags. Gleichzeitig jedoch führt es oft zu einem Verlust sozialer Kontakte. Informelle Begegnungen, wie sie in Büros beispielsweise an der Kaffeemaschine stattfinden, fördern Kreativität und Teamgeist – sie fehlen im Homeoffice fast vollständig. Zusätzlich entstehen neue Ungleichheiten zwischen Berufsgruppen. Während Büroangestellte flexibel von zu Hause arbeiten können, sind Beschäftigte in der Produktion oder Pflege an feste Arbeitsorte gebunden. Diese Spaltung innerhalb von Belegschaften führt häufig zu Spannungen und einem Gefühl der Ungerechtigkeit. Eine Aussage aus einer Arbeitnehmerumfrage fasst dies treffend zusammen: „Homeoffice und Kinderbetreuung sind zeitgleich nicht möglich. Ein abgeschlossener Raum ist ebenso wichtig für die Konzentration.“
Ein weiterer Aspekt, der im Rahmen von New Work kritisch betrachtet werden muss, ist die Führungskultur. Agiles Arbeiten und flache Hierarchien bieten zwar die Möglichkeit, mehr Mitbestimmung und Selbstorganisation in Teams zu etablieren, stellen jedoch auch neue Anforderungen an Führungskräfte. Die Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten in Teams verschwimmen häufig, was zu Unsicherheiten und Überforderungen führt. Ohne klare Ziele und ausreichende Ressourcen stoßen Teams schnell an ihre Grenzen. Zudem bedarf es einer offenen Fehlerkultur, die es ermöglicht, aus Misserfolgen zu lernen. Doch in vielen Unternehmen mangelt es an Vertrauen und Unterstützung, sodass Fehler eher verschleiert als konstruktiv aufgearbeitet werden.
Diese Beispiele verdeutlichen, dass die Realität von New Work in den Unternehmen häufig weit von der ursprünglichen Utopie entfernt ist. Dennoch bieten die damit verbundenen Veränderungen auch Chancen, die es zu nutzen gilt. Sie erfordern jedoch ein sorgfältiges Abwägen und eine bewusste Gestaltung, um den Nutzen für die Beschäftigten in den Mittelpunkt zu stellen.
Gesellschaftliche Verantwortung: New Work braucht Strukturen
Die Herausforderungen von New Work gehen über die Unternehmensgrenzen hinaus. Gesellschaftliche Strukturen müssen angepasst werden, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden. Dazu gehören:
· Kinderbetreuung und Pflege: Flexible Arbeitsmodelle funktionieren nur, wenn die Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen gewährleistet ist. Angebote wie betriebliche Betreuungsgutscheine oder Ferienprogramme können hier einen wichtigen Beitrag leisten.
· Arbeitszeitregelungen: Arbeitszeitgesetze dienen dem Gesundheitsschutz der Beschäftigten und dürfen nicht leichtfertig aufgeweicht werden. Gleichzeitig können tarifliche Öffnungsklauseln helfen, branchenspezifische Lösungen zu finden.
Ein Blick nach vorn: Wie kann New Work gelingen?
Damit New Work gelingt, müssen Unternehmen, Beschäftigte und die Gesellschaft gemeinsam an einem Strang ziehen. Unternehmen sollten ihre Initiativen so gestalten, dass sie echte Verbesserungen der Arbeitsbedingungen ermöglichen, anstatt nur Kosten zu senken oder Effizienz zu steigern. Klare Strukturen, transparente Kommunikation und ausreichende Ressourcen sind dabei essenziell.
Beschäftigte benötigen verlässliche Rahmenbedingungen, um sich selbstbestimmt zu entfalten, ohne überfordert zu werden. Führungskräfte spielen hier eine Schlüsselrolle, indem sie Freiheiten gewähren und zugleich Orientierung und Unterstützung bieten.
Auch die Politik ist gefragt, um gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie den Ausbau von Kinderbetreuungs- und Pflegeangeboten zu schaffen. Nur so können alle von flexiblen Arbeitsmodellen profitieren. Der Erfolg von New Work erfordert eine Balance zwischen individuellen Freiheiten, sozialer Verantwortung und wirtschaftlichen Anforderungen – ein Zusammenspiel, das Arbeit menschlicher und sinnvoller macht.
Dennoch bleibt zu fragen, ob die Konzepte von "New Work" unter den Prämissen sich verschärfender kapitalistischer Verwertungslogik ihr humanisierendes Potenzial überhaupt entfalten können. Denn dazu müsste das Interesse an freien und selbstbestimmten Menschen, das Fritjof Bergmann umtrieb, stärker gewichtet werden als der dem Kapitalismus eingeschriebene Profitzwang.
Fazit: New Work als Chance und Verpflichtung
New Work kann mehr sein als ein Trendwort – es bietet die Chance, Arbeit menschlicher und sinnvoller zu gestalten. Doch diese Vision erfordert Engagement auf allen Ebenen. Unternehmen müssen Verantwortung übernehmen, Beschäftigte aktiv einbeziehen, und die Gesellschaft muss sich für neue Strukturen öffnen. Nur so kann die Balance zwischen Freiheit und Schutz, zwischen Individualität und Solidarität gelingen.